Eine oft gestellte Frage ist die nach der Angst. Meist wird sie im Zusammenhang damit gestellt, dass ich viel allein wandere. Anfangs nahm ich die Frage sehr ernst, irgendwann begann sie mich zu nerven und dann fragte ich mich, wie es eigentlich kommt, dass Menschen die Frage nach der Angst stellen, wenn sie hören, dass jemand allein wandern geht. 

Welche Ängste gibts denn beim Wandern? 

… vor wilden Tieren, vor verrückten Menschen, vor Gewitter, vor Flussdurchquerungen, vor Schneestürmen und Wetterumschwüngen im Allgemeinen, vor dem Schlafen in der Natur, vor der Dunkelheit, vorm Umknicken. Und wahrscheinlich habe ich noch viele weitere mehr unterschlagen. 

Zunächst – ich komme nicht umhin zu sagen, dass man natürlich Ängste hat, wenn man allein für mehrere Tage, Wochen oder gar Monate in der Natur wandern geht. Viele dieser Ängste sind rationaler Natur, die auf unseren Instinkt zurückzuführen sind. Wenn ein Gewitter naht oder man einer giftigen Schlange begegnet, dann leuchten alle Warnsysteme auf. Der Körper wird also auf eine Flucht vor einer Gefahr vorbereitet. Diese Instinkte sind im Laufe der Evolution zum Schutz entwickelt worden. 

Es gibt aber auch eine ganze Menge irrationaler Ängste, die – bleiben sie unreflektiert – die Freude am Draußensein verderben können. Irrationale Ängste sind Ängste, die aufgrund eines Traumas immer wiederkehren können oder die auf Erfahrungen beruhen, die eine tiefe Emotion angeregt haben. Zusammen mit einer regen Fantasie verknüpft unser Hirn verschiedene Ereignisse und Gefühle miteinander, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben, aber darin münden, dass uns harmlose Dinge plötzlich ängstigen. Nachdem ich „Der Weiße Hai“ gesehen habe, konnte ich nie wieder wirklich unbeschwert in natürlichen Gewässern schwimmen gehen. Totaler Blödsinn! Haie in der Ostsee! … aber nicht nur Haie, … wer weiß, was sich in den schlammigen Grund der Waldseen im Thüringer Wald so tummelt. Oder, nachdem ich „The Revenant“ gesehen habe, wo Leonardo DiCaprio von einem äußerst wütendem Grizzlybären angefallen und fast aufgefressen wurde, benötige ich immer wieder ein wenig … nunja … „Eingewöhungszeit“ an das Schlafen in meinem Zelt in den Bergen oder in tiefen Wäldern. Irrational! 

Beiden Arten von Ängsten kann man jedoch begegnen. Rationale Ängste sollte man nicht bekämpfen, sondern sie annehmen und sich Wissen aneignen, wie man auf Situationen, die diese Ängste auslösen, reagieren kann. Das Bewußtmachen und Informieren ist also der Schlüssel, um rationale Ängste zu knacken. Wandert man in einem Gebiet, in dem es wilde Tiere gibt, dann sollte man sich darauf einstellen, auch tatsächlich einer Klapperschlange oder einem Schwarzbären zu begegnen. Der nächste Schritt wäre, sich über diese Tiere zu informieren.  Wie wahrscheinlich ist es, ihnen zu begegnen? Wie reagieren sie auf Menschen? Wie sollte man sich bei einer Begegnung verhalten? Das gleiche gilt für Gewitter oder Schneestürme. Wie verhalte ich mich bei Gewitter? Wie reagiere ich, wenn ich mich plötzlich mitten in einem Whiteout wiederfinde?

Seine irrationalen Ängste zu bekämpfen, ist schon etwas schwieriger. Emotionen sind tief verankert und auch wenn man sich hundertfach sagt, dass es in diesem Teich keine Haie gibt, die mir die Füße beim Schwimmen anknabbern, wird man trotzdem nicht unbeschwert dort planschen, wo man nicht sieht, was im Wasser schwimmt. Aber diese Ängste sollte man meiner Meinung nach angehen. Mir sehr geholfen, mir bewusst zu machen, woher genau all meine irrationalen Ängste kamen und die Wurzel zu hinterfragen. 

Aber warum hat es mich irgendwann genervt, dass mich Menschen gefragt haben, ob ich denn keine Angst hätte, so ganz allein … da draußen im Wald. Mich nervt es, dass zum einen diese Frage immer nur Mädchen und Frauen gestellt wird. Und zum anderen, dass diese Frage unreflektiert gestellt wird. Das Unreflektierte kommt immer dann zum Ausdruck, wenn einem andere Menschen – natürlich in der besten Absicht! – Zusätzlich zur Frage viel Glück, alles Gute wünschen und einem mit auf den Weg geben, „sich immer schön vor den Bären in Acht zu nehmen/nicht vom Berg zu fallen/in keine Gletscherspalte zu rutschen/allgemein auf sich aufzupassen“. 

Immer dann, wenn ich beim Wandern auf andere alleinwandernde Frauen treffe, kommen wir über kurz oder lang an den Punkt, dass wir die Erfahrung teilen, diese Frage gestellt zu bekommen. Irgendwann begann ich, alleinwandernde Männer zu fragen, ob sie diese Frage häufig hören. Die Antwort mag sicher nicht verwundern – diese Frage scheint wirklich nur alleinwandernden Frauen gestellt zu werden. Aber warum? Haben Männer keine Angst? Gehört es nicht zum Rollenbild eines Mannes, auch Angst zu haben? Werden Frauen als hilflose Geschöpfe gesehen, die sich naiv der ach-so-gefährlichen Natur aussetzen und sich dann nicht zu helfen wissen? Benötigen Frauen einen Beschützer? 

Und warum wird das Sein in der Natur als etwas angesehen, das Ängste verursachen muss?

Ich denke, es sind nach wie vor tief verankerte Rollenbilder, die Menschen diese Frage nach der Angst stellen lassen. Selbst von Frauen habe ich diese Frage oft gehört. Mädels, Frauen – warum sollten wir Angst haben, wenn wir uns in die Natur begeben? 

Darüber hinaus meine ich, dass die Verbindung der Natur mit Gefahr damit zusammenhängt, dass sich er moderne Mensch immer weiter von der Natur und einer natürlichen Umgebung entfernt und sich von ihr entfremdet. Wir leben in festen Gebäuden, öffnen den Wasserhahn, wenn wir Durst haben, schalten das Licht an, wenn es dunkel wird, drehen die Heizung höher, wenn wir frieren. Wenn es regnet, fahren wir mit dem Auto oder verschieben den Spaziergang im Park. Flüsse werden begradigt und einbetoniert Wir versuchen alles Unkontrollierbare der Natur zu zähmen, zu kontrollieren und entfernen uns dadurch immer weiter von ihr. Weil wir sie nicht mehr kennen, können wir sie nicht mehr einschätzen und sehen immer etwas Feindliches und Gefährliches in ihr. Ist dabei nicht eigentlich die Stadt ein viel gefährlicherer Ort? In einer Stadt gibt es viele Gefahren, die wir jedoch schon wie selbstverständlich in unserem Alltag akzeptieren. Vor allem der zunehmende Straßenverkehr, viele unterschiedliche andere Menschen, die anderen nicht immer wohlgesinnt sind. Dazu Stress, Hektik, viel parallel Ablaufendes, was unsere volle Aufmerksamkeit bedarf, uns überfordert und immer mehr Menschen krank machen kann. Haben wir wirklich das, was wir meinen kontrollieren zu können, unter Kontrolle?

Auf die Frage kann ich nun also eine klare Antwort geben: Nein, ich habe keine Angst mehr, allein in der Natur unterwegs zu sein. Ich habe mich mit meinen Ängsten ausführlich auseinandergesetzt, ihnen ins Auge gesehen, weiß, woher sie kommen und sie gut reflektiert. 

Und nein, wir Frauen haben nicht mehr und nicht weniger Angst als Männer und müssen auch nicht mehr oder weniger Angst als Männer haben. Wir wissen uns sehr wohl selbst zu helfen, sind reflektiert genug, um gewisse Alltagsrisiken abschätzen zu können. 

Und ja, ich möchte zum Nachdenken anregen und die Frage stellen, woher unsere Ängste kommen und vor allem, warum die Entfremdung zwischen der Natur und dem Menschen immer größer zu werden scheint.

Habt keine Angst und kommt der Natur wieder näher. 


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Exploring the world and myself by two feet.

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