Den Great Ocean Walk bin ich als Übergangswanderweg zwischen dem Pacific Crest Trail und dem Te Araroa gelaufen. Nachdem ich den PCT in den USA beendet hatte und die Idee, den Te Araroa in Neuseeland zu laufen, gereift ist, kontaktierte mich eine Freundin, die in Melbourne/Australien lebt. Wir kennen uns von einem gemeinsamen Job in Lake Louise/Kanada und nachdem sie mich bereits einige Male in Deutschland besuchte, wurde es endlich Zeit, ihrer Einladung nach Australien zu folgen. So flog ich Mitte Dezember nach Melbourne. Da sie vor den Weihnachtsfeiertagen noch im Job viel um die Ohren hatte, suchte ich nach einem spontanen Ziel in der Gegend und stieß auf den GOW. Ich recherchierte ein wenig auf der wirklich guten offiziellen Seite des Trails und entschied mich sehr schnell für diese Wanderung.

Bereits im Vorfeld muss man die einzelnen Campingplätze entlang des Weges reservieren und bezahlen. Mir stieß negativ auf, dass man vom Reservierungssystem gezwungen wird, einen Campingplatz alle 10 bis 15 km zu reservieren. Ich kann nur vermuten, dass man damit verhindern will, dass man die Tagesetappen zu lang plant und nicht mit den Gezeiten und damit mit nicht querbaren Strandabschnitten in Konflikt zu geraten. Mit einem kleinen Trick jedoch konnte ich das System überlisten und mir gelang es, meine Tagesetappen nach meiner Vorstellung zu planen und die Plätze meiner Wahl zu reservieren.
Tag 1: Von Apollo Bay nach Cape Otawa Campground (33 km)
Von Melbourne aus startete ich an einem warmen Morgen mit einem Regionalzug nach Geelong. Dort stieg ich um in einen Bus nach Apollo Bay. Die letzten Kilometer waren eine Belastungsprobe für meinen Magen, denn bereits hier verlief die Great Ocean Road in vielen Kurven entlang der Küste. Gegen Mittag kam ich in Apollo Bay an, stattete dem Informationszentrum einen Besuch ab, um vor allem Informationen zu den Gezeiten einzuholen. Die nette Dame händigte mir ein Informationsblatt mit den detaillierten Informationen für die nächste Woche aus und riet mir, heute nur wenige Kilometer zu gehen, da die Flut am frühen Nachmittag ihren Höchststand erreicht haben würde und ein Strandabschnitt daher nicht begehbar sein würde. Ich verschwieg ihr, dass ich heute noch vor hatte, 33 km bis zum Cape Otawa Campground zu laufen. Ich wollte mir selber ein Bild von der Situation an der Küste machen und da ich den Campingplatz bereits reservieren musste, blieb mir nichts anderes übrig, als diese Kilometer noch heute zu gehen. Als ich wieder aus dem klimatisierten Gebäude trat, war ich mir gar nicht mehr so sicher, ob das eine gute Idee war, denn die Sonne brannte heiß vom australischen Sommerhimmel. Ich cremte mich dick mit Sonnenmilch ein, setzte meinen Sonnenhut auf und machte mich auf den Weg. Ich war voller Freude und Aufregung zugleich. Was würde mich die nächsten Tage erwarten? Der Weg zog sich zunächst durch den Ort, auf Gehwegen der Küste entlang und bog nach einer Weile ins bewaldete Landesinnere ab. Die Farben waren heller, alles wirkte weicher und leichter. Das Grün der Blätter war sanfter, das Blau des Himmels heller, die Baumstämme ockerfarben. Dazu diese ikonische rote Erde unter meinen Füßen. Ich lief durch Wanderers Glückseligkeit. Am ersten Campingplatz des Weges machte ich Rast. Bisher habe ich immer noch keine anderen Wanderer getroffen. Ich habe mit weitaus mehr Menschen gerechnet. Schließlich ist Sommer und der Weg ist relativ kurz und in äußerst attraktiver Gegend. Aber vielleicht war die zeitliche Nähe zu den Weihnachtsfeiertagen der Grund, warum sich niemand in die Natur verirrte? Der Weg kehrte zurück zur Küste und nun stand ich vor dem Abschnitt, der während der Flut eigentlich unter Wasser liegen sollte. Ich checkte mein Infoblatt und die Zeit. Flut! Aber am oberen Ende des Strandes gab es einen schmalen Streifen Sand, den ich problemlos begehen konnte. Ich war froh, nicht auf die Mitarbeiterin im Infocenter gehört zu haben und auch darüber, dass ich mir selber ein Bild machen wollte. Trotzdem war es ein Risiko – die Strömungen und das Meer sind undurchschaubar und das Wetter kann umschlagen.
Ich querte also den Strand und als ich etliche Stufen wieder hinauf auf die Küstenklippen stieg, spürte ich meine Beine. Ich wurde langsam müde … laut meiner Karte lagen aber noch mindestens 13 km vor mir. Irgendwann erreichte ich dann den Cape Otawa Campground. Dies war ein Campingplatz, der direkt am Strand lag und in einen Teil für Wohnmobile und einen für Wanderer aufgeteilt war. Hier traf ich auf einmal auf jede Menge Menschen. Die Zeltstellplätze waren nummeriert und zu meiner Überrschung konnte ich nur noch aus zwei Optionen wählen. Durch das Reservierungssystem wird jedoch sichergestellt, dass jeder Wanderer einen Stellplatz erhält und dadurch keine neuen wilden Stellplätze etabliert werden. Die Campingplätze waren einfach, aber gut ausgestattet. Neben Plumpsklos gab es Wasserstellen und Bereiche, in denen man kochen und seine Nahrung zubereiten konnte. Ich baute mein Zelt unter einem großen Baum auf einer kleinen Anhöhe auf und fiel nach einem schnellen Abendessen in einen langen und tiefen Schlaf.


2. Tag: Von Cape Otawa zum Johanna Beach Campground (24 km)
Der zweite Tag auf dem GOW begann bei bedecktem Himmel. Das jedoch störte mich nicht, denn die Sonne Australiens scheint unerbittlich heiß vom Himmel. Der heutige Abschnitt zum Johanna Beach folgte größtenteils der Küstenlinie. Das bedeutete aber nicht, dass man immer oberhalb der Küste auf den Klippen unterwegs ist, nein, der Weg führte hinunter zum Wasser, am Strand entlang, wieder hinauf auf die Klippen und das mehrere Male. Den ganzen Tag begleitete mich das Meer zu meiner linken Seite, denn den Weg geht man auf ein landschaftliches Highlight Australiens zu: Man beginnt im Osten und läuft nach Westen, zu den Twelve Apostles. Immer wieder raschelte es links und rechts von mir im Gras und nicht nur einmal sah ich kleine braune und schwarze glänzende Schlangen vor mir davon schlängeln. Mit größter Aufmerksamkeit lief ich diesen Weg, denn gab es in Australien nicht die meisten Giftschlangen weltweit? Nach Bären in Nordamerika waren es nun Schlangen, auf die ich Acht gab. Aber nicht nur Reptilien gab es hier im Land Down Under, sondern auch Kängurus. In meiner Vorstellung gab es Kängurus vor allem im Outback, dem roten Herz des Kontinents. Bilder, wie diese großen Tiere mit ihren kräftigen Hinterläufen über einsame, schnurgerade verlaufene Straßen im Roten Nichts hüpften, flirrten in meinem Kopf herum. Ich meinte immer, nur mit viel Glück bekäme man diese ikonischen Tiere zu sehen. Aber nein! Bereits am ersten Tag sah ich meine ersten Kängurus oder Wallabies, eine kleine Känguru-Art, und heute saßen einige Exemplare nur wenige Meter vor mir auf dem Trail, schauten mich verwundert an und verschwanden dann mit ihren großen wippenden Schwänzen im Unterholz. Den Johanna Beach Campground erreichte ich nach einer längerem Strecke dem gleichnamigen Strand entlang. Der Weg zum Campground führte etliche Höhenmeter hinauf und auf einem schmalen Streifen, direkt an den Klippen über dem Meer, waren nebeneinander einige Stellplätze für Zelte vorgesehen. Diese waren mit einer Abgrenzung von der Abbruchkante der Klippen getrennt. Der schönste war, was mich nicht wunderte, bereits belegt. Aber ich konnte den zweitschönsten ergattern. Mit einiger Mühe, da der Wind von der offenen See hereinpfiff, konnte ich mein Zelt aufbauen; aber dann genoß ich den grandiosen Blick übers Meer.


3. Tag: Vom Johanna Beach zur Devil’s Kitchen (27 km)
Was gibt es Schöneres als mit einem Blick auf den Südlichen Ozean aufzuwachen? Nach einem ausführlichem Frühstück und einem schweren Abschied von diesem tollen Zeltplatz machte ich mich auf den heutigen Abschnitt. Die Etappe sollte eine Herausforderung werden, da es noch mehr Auf und Ab als die beiden Tage zuvor zu bewältigen gab. Aber der Weg führte mich heute auch wieder landeinwärts, auf Schotterpisten an Farmhäusern vorbei, durch lichte, helle und von Vogelgezwitscher überflutete Wäldchen und hinab an rauhe Küsten, die mich an Irlands windumtoste Küsten erinnerten. Und immer wieder Wallabies und Schlangen.
Der Campplatz “Devil’s Kitchen” sollte der letzte auf meiner Wanderung entlang des Great Ocean Walk sein. Wie die Tage zuvor, an denen ich kaum eine Menschenseele direkt auf dem Trail, dann aber auf den Campingplätzen sah, erwartete ich ähnliches am heutigen Tag. Aber heute war nicht nur der Trail verwaist, sondern auch der Camingplatz. Dieser war wunderschön in einem Wald, etwas landeinwärts, auf den mächtigen Klippen gelegen. Als ich mich auf dem Campingplatz umsah und nach einem schönen Platz für mich suchte, sah ich Nummern von 15 bis 2, aber die 1 war nirgendwo zu finden. Plötzlich nahm ich einen schmalen Trampelpfad Richtung Klippen wahr. Ich folgte ihm und plötzlich stand ich auf Campingplatz Nummer 1! Und was für einer! Unter einem großen Baum, nur wenige Meter von der Kante der hohen Klippen entfernt, wo zu meiner großen Freude auch noch eine Bank stand, baute ich mein Zelt auf. Dann holte ich Wasser von der Wasserstelle neben den Plumpsklos und kochte meine Nudeln. Auf der Bank sitzend, den Sonnenuntergang über dem Meer betrachtend, aß ich mein letztes Abendessen auf diesem Fernwanderweg.



4. Tag: Von Teufels Küche zu den Zwölf Aposteln (16 km)
Der letzte Tag, die letzten 16 km lagen vor mir. Der Weg führte heute erneut im ständigen Auf und Ab entlang der Küste. Aber nun ließ er Wälder hinter sich und schmückte sich mit sturmgepeitschten Büschen und niedrigem Bewuchs. Ich startete entspannt, behielt aber trotzdem die Zeit im Auge, denn gegen 15 Uhr sollte ein Bus vom Besucherzentrum an den Twelve Apostles nach Geelong fahren, ab wo ich mit dem Regionalzug zurück nach Melbourne fahren würde. Es war heiß, aber der Wind pfiff mir um die Ohren, das Meer links unter mir rauschte und brach sich an den Klippen. Es war einfach wunderbar. Je näher ich den Twelve Apostles kam, je mehr Leute kamen mir entgegen. Im Gegensatz zu den Wanderwegen in Nordamerika war es nicht leicht, mit anderen Wanderern ins Gespräch zu kommen. Die Australier, die ich auf dem Weg traf, schienen wenig am Austausch interessiert zu sein. Ich machte auf einer überraschend auftauchenden Bank eine Rast und checkte, ob ich Telefonempfang hatte. Hatte ich! Und eine ganze Menge Nachrichten erreichten mich. Zum Glück lass ich die von Casey aus Melbourne zuerst … und meine gute Stimmung wurde jäh getrübt: In Melbourne hatte sich am Tag zuvor ein Terroranschlag ereignet. Ein Mann war mit einem Auto in eine Fußgängerzone gefahren und hatte mehrere Menschen getötet. Casey berichtete mir das und warnte mich vor, dass ich nicht erschrecken solle, falls alle Welt nun fragen sollte, ob ich okay sei.

Nachdem ich diesen Schock verdaut hatte, machte ich mich auf die letzten Kilometer. Bereits am Horizont konnte ich die bis zu 60 m hohen steil aus dem Meer aufragenden Kalksteinfelsen erkennen. Ich bekam eine Gänsehaut, denn wie oft habe ich diese Felsen schon auf Fotos in Magazinen und im Internet gesehen? Mich zog es bisher nie nach Australien, aber das, was ich bisher an den wenigen Tagen – vor allem auf dem Trail – kennenlernen durfte, gefällt mir äußerst gut. Je näher ich kam, desto mehr Menschen waren plötzlich unterwegs. Ich spürte, wie ich mich psychisch zurückzog. Ich wollte nicht unter so vielen Menschen sein. Als ich am Visitor Center der Sehenswürdigkeit ankam, fühlte ich mich total überfordert durch den Krach und die vielen Leute. Trotzdem lief ich, alle anderen hinter mir lassend, den etwa 500 m langen asphaltierten Weg entlang, um die besten Blicke auf die Zwölf Felsen zu erhalten. Ich lief und staunte, machte meine Fotos und lief nach kurzer Zeit zurück. Ich konnte die vielen Touristen um mich herum einfach nicht ertragen. Ich kaufte im kleinen Imbiss des Besucherzentrums noch etwas zu Essen und zu Trinken und wartete dann an der Bushaltestelle auf den Bus, der mich zurück nach Geelong bringen sollte. Meine Wanderung auf dem Great Ocean Walk war beendet.

